In dieser Ausgabe von Denkfabrik X geht es wie immer um ein Thema, das den Nerv der Zeit trifft: Der Sozialstaat wankt – und mit ihm das Vertrauen in Aufstieg durch Leistung. Was passiert, wenn das Aufstiegsversprechen nicht mehr gilt? Wenn Erfolg gefeiert wird, selbst ohne Leistung? Und was bedeutet das für Unternehmer, Selbständige und alle, die täglich „liefern müssen“ – während andere scheinbar mühelos empfangen?
Die größte Gefahr für liberale Demokratien ist nicht Putin – sondern die soziale Ungleichheit.
Die zunehmende Staatsquote ist keine theoretische Größe mehr: Sie stieg von 11 % im Jahr 1880 auf über 50 % heute. Konkret heißt das, dass jeder zweite Euro, den wir verdienen, in die öffentlichen Kassen fließt. Zugleich steigen auch in Österreich die Sozialausgaben spürbar an – allein für die Sozialhilfe wurden zuletzt rund 1,1 Mrd. Euro pro Jahr aufgewendet.
Hinzu kommen hohe Kosten für Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und eine Vielzahl an Unterstützungsleistungen. Und das in einer Zeit, in der Österreich das dritte Jahr in Folge in der Rezession steckt. Umso drängender wird die Frage: Wer trägt diese Last künftig – und warum gelingt es trotz milliardenschwerer Förderungen nicht, rund 300.000 erwerbsfähige Menschen in Beschäftigung zu bringen?
Die Debatte verdeutlicht: Der Unmut nimmt zu. Vor allem bei jenen, die Tag für Tag ihr Bestes geben und sich fragen, ob das System sie im Regen stehen lässt. Das Vertrauen in Politik und System ist am Tiefpunkt. Viele Bürger fühlen sich nicht mehr vertreten, sondern verwaltet. Während der Ruf nach Reformen laut ist, entscheidet eine kleine Minderheit über die Meinung der Mehrheit. Die gesellschaftliche Balance wankt – und mit ihr die Bereitschaft, das System mitzutragen. Wer heute noch solidarisch ist, tut das nicht aus Selbstverständlichkeit – sondern trotz wachsender Zweifel.
Wer nichts erbt, muss liefern. Wer Erfolg hat, hat eine Leistung erbracht – egal, ob er wirklich etwas geleistet hat.
Die traditionelle Leistungsgesellschaft existiert nicht mehr. Stattdessen herrscht der Erfolg, und zwar derjenige, der sich in Geld übersetzen lässt. Die Konsequenz: Pflegekräfte, Handwerker, Pädagogen – sie alle tragen viel bei, werden jedoch kaum wahrgenommen.
Entscheidend ist Sichtbarkeit. Reichweite. Ertrag. Für zahlreiche Selbständige ergibt sich die Frage: Welcher Beitrag wird noch anerkannt? Weshalb bringt echte Arbeit oft weniger ein als das perfekte Selbstmarketing?
Die Antwort ist unangenehm: Wir leben in einer Gesellschaft, die auf Erfolg ausgerichtet ist. Menschen, die täglich 12 Stunden arbeiten, fallen dennoch durch das Raster, wenn sie keinen „Proof of Work“ in Form von Status oder Kapital vorweisen können.
"Wenn du den Sozialstaat abschaffst, bekommst du US-amerikanische Verhältnisse."
Während die politische Diskussion über die Sozialhilfe aufflammt, bleiben Vermögen oft unberührt. Beispiel: In Deutschland liegt die steuerfreie Erbsumme für Kinder bei bis zu 3,2 Mio. Euro. Zur selben Zeit debattieren wir, ob es angebracht wäre, bei Menschen, die „nicht wollen“, eine Kürzung der Sozialhilfe vorzunehmen.
Hier liegt die wahre Schieflage. Precht formuliert es deutlich: „Je größer die Schere zwischen Arm und Reich wird, desto gefährlicher ist es für die Demokratie.“ Für Unternehmer bedeutet dies: Um gestalten zu können, sind faire Spielregeln erforderlich. Und diese gelten nicht, wenn man das Spiel von Geburt an gewinnt.
Wenn Erfolg gefeiert wird – egal wie er entsteht – verliert Leistung ihren Wert. An diesen Punkt stehen wir.
Lange galt: Wer sich Mühe gibt, macht Fortschritte. Aber dieses Versprechen verliert zunehmend an Wert. Nicht, weil Menschen träge wären – sondern weil Strukturen behindern. Soziale Herkunft, Zugang zu Kapital und Ausbildung – viele Faktoren beeinflussen den Erfolg heute mehr als Fleiß.
Für Gründer ist das enttäuschend: Es bedarf mehr als nur einer guten Idee. Es erfordert Sicherheit, Unterstützung und manchmal auch ein wenig Glück. Wenn die soziale Balance ins Wanken gerät, entsteht eine Atmosphäre der Erschöpfung. Es fehlt dann an der Energie, um Neues zu schaffen – genau das, was unsere Gesellschaft braucht.
Der Sozialstaat ist keine Belastung – er ist das Fundament, auf dem Menschen sich entfalten können. Wenn wir wollen, dass mehr Menschen gründen, forschen, entwickeln, dann brauchen wir nicht weniger Sozialstaat – sondern einen klügeren. Einen, der fördert, ohne zu lähmen. Der schützt, aber auch fordert.
Für Selbständige heißt das: Steuererleichterungen oder Förderungen allein sind nicht genug. Wir benötigen ein System, das Leistung wieder in den Vordergrund rückt – und dafür sorgt, dass Erfolg gerechtfertigt ist. Denn ohne soziale Stabilität ist kein Unternehmertum nachhaltig!